Pfälzischer Merkur (Christoph Schreiner) zu „Zarathustra“ (23.02.2011)

Auf krummen Wegen


Nietzsches philosophischen Steinbruch, die große gleichnishafte Zarathustra-Dichtung, in 80 Minuten auf dem Theater, geht das? In der Sparte 4 gelang es Alexandra Holtsch. Verluste nimmt man gern in Kauf.

Saarbrücken. Es sei "müßig, in diesem Buch nach der Grundlage einer Theorie des Übermenschen, der ewigen Wiederkunft oder des Willens zur Macht zu suchen", schrieb Giorgio Colli im Nachwort zur kritischen Studienausgabe von Nietzsches "Also sprach Zarathustra" (1883-1886), diesem aus gleichnishaften Reden sich himmelhoch auftürmenden philosophischen Steinbruch. Müßig deshalb, weil der "Zarathustra" die von Colli genannten drei Kernformeln der Philosophie Nietzsches gerade nicht theoretisch herleitet, sondern eher als Subtext mit sich führt - verborgen unter einer hochmusikalischen Dichtung von bisweilen ekstatischer Sprachgewalt.

Robert Musils Bonmot aus seinem Tagebuch, Nietzsche gleiche einem, der hundert neue Möglichkeiten erschlossen und keine ausgeführt habe, umreißt sehr genau die Erkenntnishaltung im "Zarathustra". Diese im Grund nicht zu bändigende Ideenfurie auf die Bühne zu bringen, ist keine leichte Übung. Dass es gelingen kann, bewies am Sonntag in Saarbrückens Sparte 4 Alexandra Holtschs, Nietzsches Textvorlage beherzt sampelnde, Inszenierung. Sie gerät ziemlich leichtfüßig, obwohl sie 80 Minuten lang lauter schwer beladene Sätze zu schleppen hat.


Holtsch hangelt sich nicht von ungefähr überwiegend an der "Vorrede" von Nietzsches gleichnishafter Dichtung entlang. Komprimiert diese doch, was er danach in 400 gedanklich wild umherschießenden Seiten ausbreitete, um seiner orientierungslos gewordenen Zeit alle Masken niederzureißen. "Von der Gewalt subjektiver Ergüsse niedergerissen", wie Nietzsche-Exeget Colli treffend schrieb. Als der "Zarathustra" entstand, gerieten im Zeichen des heraufziehenden Nihilismus gerade die letzten abendländischen Gewissheiten - zuletzt auch der Glaube an ein allem zugrunde liegendes göttliches System - ins Wanken. Eine historische Ausgangslage, die Zarathustra eine radikale Diesseitigkeit einfordern lässt: "Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es." Doch nicht nur der Erde, vor allem sich selbst müsse jeder einzelne treu bleiben: "Kannst du deinen Willen über dir aufhängen wie ein Gesetz?" fragt Zarathustra und gibt, mit Pindar sprechend, auch die Antwort: "Werde, der du bist."


Der Abend in der Sparte 4 - in szenischem Minimalismus angelegt als ein auf zwei Rollen (in merklicher Spiellaune, aber ohne Überdrehungen: Nina Schopka und Klaus Meininger) verteiltes Hör- und Sehspiel mit kurzen Soundgewittern von Holtsch - fragt in monologischen Endlosschleifen nach Sinn und Zweck des Menschseins. Auf krummen Wegen, weil "alles Gerade Lüge ist". Naturgemäß endet der abschüssige Weg nietzscheanisch im Hadern mit sich selbst.