Premierenkritik: "Fatzer"


Am 30. Mai wurde Bertolt Brechts Drama "Fatzer" zum ersten Mal in der der Sparte IV des Saarländischen Staatstheaters aufgeführt. Regisseurin Alexandra Holtsch hat das Stück als "Untergangsshow" inszeniert und dem Premierenpublikum damit einen irritierenden, aber dennoch fesselnden Theaterabend beschert. Für SR 2 KulturRadio hat sich Reingart Sauppe die Inszenierung angesehen.


Mit dem „Fatzer“ ist Bertolt Brecht nie fertig geworden. Das Konvolut aus Szenen und Kommentaren blieb bis zu seinem Tod ein Fragment, das allerdings im Laufe seines Lebens auf 500 Seiten anwuchs. Für den Dramatiker Heiner Müller aber war der „Fatzer“ Brechts wichtigstes Werk und sein inspirierendster Werkzeugkasten. Dieser „Brocken“, der das Scheitern von Revolutionen zu erklären versucht und den der Dramatiker Heiner Müller als Brechts wichtigstes Werk bezeichnete, gilt also als unspielbar und ist auf den Theaterbühnen trotzdem erstaunlich lebendig - abschrecken ließ sich auch die Regisseurin Alexandra Holtsch nicht.

Der Widerspruch ist Programm.

So adrett und gutbürgerlich hat wohl noch keine Revolution und kein Premierenabend in der Sparte IV, der Studiobühne des Staatstheaters, begonnen. Im Smoking und Abendkleid begrüßen Fatzer und seine Rebellentruppe das Publikum. Die Sparte IV, in der die Zuschauer es gewohnt sind, sich wohlig-lässig in Sitzsäcken zu lümmeln und nebenbei an der Bionadeflasche zu nuckeln, hat sich mit einem bombastischen roten Theatervorhang aufgehübscht, der zunächst verdeckt, dass es zwei Zuschauerräume gibt und die Bühne in der Mitte liegt. Das ist kein Gag, sondern eine dialektische Versuchsanordnung. Gespielt wird zu beiden Seiten, abwechselnd, gleichzeitig, mal erst für die eine,dann für die andere Seite. Der Widerspruch ist Programm. So wie Brechts Lehrsätze, die zwischendurch eben mal kurz als Übertitel eingeblendet werden. Sätze wie „Unrecht ist menschlich. Menschlich aber ist der Kampf gegen Unrecht.“ Sätze, die trotz des formulierten Widerspruchs bedeutungsschwanger nach viel Wahrheit klingen und gut als Slogan auf einen Ansteckbutton passen würden.

 

„Fatzer -der geborene Revolutionsführer“

Alexandra Holtsch löst sich mit ihrer ganz im Brechtschen Sinne dialektischen Versuchsanordnung dennoch geschickt vom heroischen Theaterübervater. Brecht wird nicht zelebriert, sondern ganz und gar respektlos hinterfragt. Seine Lehrsätze, kurz eingeblendet, geraten zu gut formulierten Appercus (die frz. Schreibweise gibt meine Tastatur nicht her ...Anm. d. Red.) in dieser Untergangs-Show. Manches bleibt hängen, vieles rauscht vorbei. Alles wird infrage gestellt. Auch das, was in der Brechtschen Vorlage noch eindeutig schien.

Fatzer, das war für Brecht der Inbegriff eines kraftvollen Egoisten, der es wagt, vom Schlachtfeld zu desertieren, sich dem Regime zu verweigern, eigentlich der geborene Revolutionsführer, der aber alle an ihn gestellten Erwartungen enttäuscht, weil er zum selbstsüchtigen Rebell,nicht aber zum Gruppenanführer taugt. In dieser Inszenierung ist Fatzer nicht einmal mehr der revolutionäre Antiheld. . Roman Konieczny stolpert vielmehr als somnanbuler Träumer durch die Show, dem alle Virilität eines Fatzers abhanden gekommen ist. Der notgeilen Frau Kaumann, von Nina Schopka als biedere Sexbombenparodie gespielt, tätschelt er allenfalls abwesend aufs Hinterteil während die sich schon vor Erregung wiegt und er dabei noch Brechts Thesen zum Widerspruch von Revolution und Regime zitiert, die aber als gefällige Partyplauderei verpuffen.

Verschwindet in dieser Show am Ende also nicht nur der Fatzer, der von seinen Genossen hingerichtet wird, sondern Brecht selber gleich mit? Regisseurin Alexandra Holtsch kämpft in ihrer Inszenierung mit dem eigenen Widerspruch: Natürlich reizt sie das ungeheure Potential dieser Fatzer-Texte, in dem Brecht über das Scheitern von Revolutionen nachgedacht hat, Fragen, die nach den gescheiterten Rebellionen im arabischen Raum wieder aktuell sind. Gleichzeitig will sie diesen Fatzer, dieses Konvolut konsumierbar machen, damit die Zuschauer bereit sind, sich überhaupt darauf einlassen.


„Gleichermaßen überfordert, unterhalten und dennoch angeregt herausgefordert“

Außerdem setzt sich die Inszenierung mit der Frage nach der Wirkung dieser Brechtschen Denkfabrik in unserer heutigen Medien- und Eventgesellschaft auseinander. Schließlich produzieren Talkshows selbst in einem inflationären Maße Lehrsätze am Fließband, dialektischen Diskurs im Gebrauchsformat, braucht da irgendeiner noch Brecht? Hört da noch einer hin? Regisseurin Alexandra Holtsch ist es gelungen, diesen Widerspruch produktiv zu nutzen und das ist der Erfolg ihrer Inszenierung. Der Abend ist eine streckenweise ungeheuer komisch bis groteske Satire, die ihre Komik daraus bezieht, dass sie diesen Brecht schamlos beim Wort nimmt und dafür Bilder findet. Etwa, wenn die Untergangsshowtruppe nach der Pause in hautengen Ganzkörperkostümen auftaucht, Klaus Meininger als Mensch im Nacktkörperkostüm plötzlich den eingenähten Reissverschluss am Bauch öffnet, eine Lyonerwurst als Geschlechtsteil hervorwölbt, das schwuppdiwupp im Fleischwolf zu Hackfleisch verarbeitet wird. Brecht hätte es vermutlich gefallen: So werden Mann und Mensch im Krieg regelrecht verwurstet.


„Wann ist die nächste Vorstellung?!

Verwurstet werden noch zahlreiche Assoziationen an diesem Abend und natürlich bleibt in dieser Untergangsshow viel intellektueller Überbau auf der Strecke – aber: Ist das Scheitern nicht das Prinzip dieser Textvorlage? Selten war man jedenfalls im Staatstheater gleichermaßen überfordert, unterhalten und dennoch angeregt herausgefordert wie in diesen eindreiviertel Stunden in der Sparte IV.

Die Zuschauer jedenfalls verließen den Abend mit Fragen wie etwa: „Wie werde ich in Zukunft die Menschen betrachten, wenn ich in der Bahn sitze? Ich frage mich, wie es von der anderen Zuschauerseite ausgesehen hat? Ich meine, am Ende hätte man auf der anderen Seite einen ganz anderen Schluss bekommen können.

Wann ist die nächste Vorstellung, damit ich nochmal reingehen kann? Es ist so reich an Querverweisen, an Subtexten,ich glaube, dass muss man ein zweites Mal sehen, um es komplett zu fassen.“

Eine Rezension von Reingart Sauppe